Freitag, 27. November 2015

Immer am Ball I


Es war im Jahr 1978 als ein junger talentierter Student der Ethnologe aufbrach, um vor, während und nach der Fußball WM in Argentinien diese Spiel zu verstehen. Wieso so weit weg, das könnte man doch überall auf der Welt, auch in Albisrieden, dem kleinbürgerlichen Vorort von Zürich, wo er herkommt und immer herkommen wird. Es hat noch andere Gründe, dass er weg will. Aus der noch größeren Enge eines nicht existenten Protestantismus, aus der Frustration, nie mit dem anderen Geschlecht den Kontakt gehabt zu haben, bei dem man sich als Mann fühlen könnte. Er wäre auch gerne nach Mexiko, doch die berühmte Forschung war bereits vorbei, und die zweite noch in einiger Entfernung. Und Fußball interessierte ihn, in erster Linie nicht als Wissenschaftler sondern als Mittelstürmer. Er schoss viele Tore, war beliebt im Quartier und das gab ihm den für diese Umgebung nötigen Überlebenswillen. Doch ganz alleine die Reise in eine von einer Diktatur terrorisierten Gesellschaft, deren Sprache er mehr schlecht als recht zu verstehen vermochte.


Die 6 Monate Argentinien ergaben schlussendlich keine Arbeit für eine Universität, einige lachten ihn sogar aus, Fußballethnologie sei doch nichts, nichts seriöses, das an eine Universität gehöre. Es blieb ein Abenteuer, jetzt im nachhinein natürlich interessant, beinahe romanisch. Die erste Bleibe oder Absteige war so klein, dass er die Türe des Zimmers nur einen Spalt weit öffnen konnte, da sie an das Bett stiess. Er hatte genau eine Adresse, die Eltern eines Argentiniers, den er in der Schweiz 2 Wochen vor seiner Abreise kennen lernte. In seiner Verzweiflung ging er da vorbei, wurde gut aufgenommen und schlief da etwa zwei Wochen auf dem Boden im Wohnzimmer. Er erinnert sich an den Namen des kleinen Hundes, der in der ganzen Wohnung herum pisste, 'Randall'. Die Eltern waren nett, besorgt um den Sohn, der seine Hippie Zeit in der Schweiz verbrachte. Die Tochter war seriöser, dachte bereits früh an ihre Zukunft und war liiert mit dem Sohn eines Fabrikbesitzers. Eine Fabrik, die unter anderem auch die Uniformen fürs Militär fabrizierte. Man weiß, das Militär war damals an der Macht, unantastbar, selbst die WM wurde nicht boykottiert, von niemandem, nicht wie später die Olympischen Spiele in weniger brutalen Ländern. Der Sohn hatte ein Büro in der Fabrik, war rundlich, unsportlich und ich sag mal salopp auch nicht der hellste! Er organisierte die Fabrikmannschaft, in der er sich selber als Torhüter aufstellte weil er sich da nicht nicht groß bewegen musste. Er war auch nicht der größte und liess viele faule Eier in seinen Kasten. Da er auf dem Höhepunkt meiner bescheidene Fußballkunst war, wurde ich sogar als Nummer 9 aufgestellt. Nachdem er aber einmal einen relativ sicheren Treffer vergab wurde er als Nummer 4 zum vorderen Verteidiger strafversetzt. Nach den Spielen gab es ausgiebige Essen. Alles gesponsert von Gustavo, denn niemand hätte sich solche Essen leisten können. Beim einem Assado kam eine junge Schönheit auf ihn zu und fragte nach Feuer für ihre Zigarette. Brav und wohlerzogen gab er ihr das Feuer, und wünschte sich lange Zeit, dass er nicht so wohlerzogen durch die Welt zu gehen hatte. Er hätte durch etwas mehr Selbstvertrauen sein Dasein einigermaßen positive gestalten können. So blieben die schönsten Momente jene , an denen er jeweils Samstag eine einfache Familie in 'Pompeja' einem Vorort von Buenos Aires besuchte. Der Vater arbeitete für Gustavos Fabrik, machte alles für den Dono und verdiente knapp sein Überleben. Die Mutter machte die beste Pizza die er je genießen durfte. Er spiele mit den beiden Jungs auf einem Turnplatz, schenkte ihnen seine Fußballleibchen, die er Jahre zuvor bei einer Reise nach London erstanden hatte, Manu, Cristal Palace, Arsenal und sein dmals liebstes, Chelsea, weil es ein schönes Blau war, das ihn ans Mittelmeer erinnerte. Mit seinem wenigen Geld brachte er dem Vater jeweils einige Packete 4370, eine billigen Zigarettenmarke die er selber zu rauchen begann. Er hatte nur wenig Geld, wollte aus Stolz seine seine Eltern auch nicht mehr bitten. Die Zigaretten und ein einfaches Mittagessen im 'Circulo Catoloco' erwirschaftete er mit einer Arbeit, die ihm Gustavo vermittelte. Ein jüdischer Tuchhändler verkaufte Stoffe an Grossisten aus dem Land. Sie kamen zu ihm in den vollgestopften Laden und er musste ihre ausgewählte Ware in selber fabrizierte Säcke füllen. Mit einem indianischen Kumpel verbrachte er viele Abende. Dieser spielte traurige Tangos auf einer akustischen Gitarre, was absolut zur Situation der Beiden passte.

Schreibbüro Toni Saller: b-schreiben.ch, Ethnologe, Schreibarbeiter, Ideenbüro und frühpensionierter Informatiker, bschreiben@gmail.com, bschreiben.wordpress.com

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